Erlaubt der Islam das Schlagen der Frau? Das klassische Verständnis von Qur'an 4:34



Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen!
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Von Waqar Akbar Cheema, übersetzt von Khalid abdul-Musawwir
Ausschnitt
Fälle häuslicher Gewalt in muslimischen Familien wird von vielen auf Qur’an 4:34 bezogen, was als die Duldung der häuslichen Gewalt ausgelegt wird. Dieses Schreiben wird zeigen, dass solch eine Interpretation das Ergebnis eines halbherzigen  Lesens der Bedeutung des Verses ist. Dieses Schreiben untersucht die traditionellen Auslegungen des Verses und erforscht die Details korrigierender Maßnahmen, die darin artikuliert wurden. Dieses Schreiben wird zeigen, dass traditionelle Auslegungen des Verses weder häusliche Gewalt dulden, noch von den Interessen der Patriarchie charakterisiert sind. Vielmehr ist die traditionelle muslimische Herangehensweise die Einschränkung fast aller augenscheinlichen Bedeutungen des Verses, indem sie zu einer symbolischen Strafe hindeutet, während man auf der Suche nach dem Beschluss einer Lösung für ein großes eheliches Fehlverhalten ist. 

Inhalt
1. Einführung
2. Die Natur ehelicher Beziehungen im Islam
3. Der Kontext des Verses 4:34
4. Die Art und Details der Anweisungen
4.1 Zuerst müssen die anderen Maßnahmen vollzogen werden
4.2 Erlaubnis, keine Empfehlung
4.3 Physische Strafe ist nicht empfehlenswert
4.4 Regeln der Art und des Umfangs des „Schlagens“
4.5 Eine Warnung für Männer
4.6 Ein schwacher Hadith zum „Schlagen“ der Frau
5. Die Bedeutungen des Verses und die Tradition muslimischer Gelehrte
6. Ursachen häuslicher Gewalt gegen Frauen
7. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen




1. Einführung
Eines der größten Missverständnisse über den Islam ist es, dass er häusliche Gewalt toleriert und sogar entschuldigt. Viele Fälle der häuslichen Gewalt islamischer Gesellschaften oder muslimischer Familien, die im Westen leben, werden islamischen Lehren zugeschrieben. Der gewöhnliche textuelle Bezug wird in diesem Kontext auf Qur’an 4:34 gemacht, dem sogenannten „Vers des (Frauen-)Schlagens“. Der Vers lautet:

الرِّجَالُ قَوَّامُونَ عَلَى النِّسَاءِ بِمَا فَضَّلَ اللَّهُ بَعْضَهُمْ عَلَى بَعْضٍ وَبِمَا أَنْفَقُوا مِنْ أَمْوَالِهِمْ فَالصَّالِحَاتُ قَانِتَاتٌ حَافِظَاتٌ لِلْغَيْبِ بِمَا حَفِظَ اللَّهُ وَاللَّاتِي تَخَافُونَ نُشُوزَهُنَّ فَعِظُوهُنَّ وَاهْجُرُوهُنَّ فِي الْمَضَاجِعِ وَاضْرِبُوهُنَّ فَإِنْ أَطَعْنَكُمْ فَلَا تَبْغُوا عَلَيْهِنَّ سَبِيلًا إِنَّ اللَّهَ كَانَ عَلِيًّا كَبِيرًا
Qur’an 4:34
Die Männer stehen den Frauen in Verantwortung vor, weil Allah die einen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Vermögen hingeben. Darum sind tugendhafte Frauen die Gehorsamen und diejenigen, die (ihrer Gatten) Geheimnisse mit Allahs Hilfe wahren. Und jene, deren Widerspenstigkeit ihr befürchtet: ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch dann gehorchen, so sucht gegen sie keine Ausrede. Wahrlich, Allah ist Erhaben und Groß.
Jedoch basiert diese Zuschreibung auf einer schwachen Prämisse und entspringt aus einer halbherzigen Untersuchung des zitierten Texts. Um die wahre Bedeutung des Verses zu verstehen, ist es wichtig, zuerst die rechtliche Art der Anweisungen des Verses zu verstehen und die darauf bezogenen Regelungen im Einklang mit den generellen islamischen Lehren.   
2. Die Natur ehelicher Beziehungen im Islam
Der edle Qur’an definiert die Art der ehelichen Beziehungen mit den folgenden Worten:
وَمِنْ آيَاتِهِ أَنْ خَلَقَ لَكُمْ مِنْ أَنْفُسِكُمْ أَزْوَاجًا لِتَسْكُنُوا إِلَيْهَا وَجَعَلَ بَيْنَكُمْ مَوَدَّةً وَرَحْمَةً إِنَّ فِي ذَلِكَ لَآيَاتٍ لِقَوْمٍ يَتَفَكَّرُونَ
Qur’an 30:21
Und unter Seinen Zeichen ist dies, daß Er Gattinnen für euch aus euch selber schuf, auf daß ihr Frieden bei ihnen finden möget; und Er hat Zuneigung und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt. Hierin liegen wahrlich Zeichen für ein Volk, das nachdenkt.
Im Wesen ist die Art der ehelichen Beziehungen die einer Zuneigung und Barmherzigkeit. Und es gibt unzählige qur’anische Verse und prophetische Traditionen, die dies belegen und unterstützen. Achtlos hinsichtlich den anderen Versen, bezeugen solche Bezüge selbst, dass der edle Qur’an keine häusliche Gewalt zusichern und dulden kann oder das Schlagen der Frau, da der Qur’an innerlich stimmig ist. 
3. Der Kontext des Verses 4:34
Wenn wir mit dem direkten Kontext von Qur’an 4:34 beginnen, so muss zur Kenntnis genommen werden, dass der edle Qur’an eine Beziehung zwischen Ehepartnern beschreibt, wobei Männer einen höhere Stufe aufgrund ihrer gesellschaftlichen Rolle als Schützer und Wächter der Frauen haben. 
Der edle Qur’an nennt Männer qawwam über Frauen. Das Wort bezeichnet eine Person, dem die Pflicht der Leitung oder der Übernahme der Sorgfalt auferlegt wurde. Jede gesellschaftliche Einrichtung braucht eine hierarchische Struktur, um das Management der kollektiven Angelegenheiten seiner Komponenten zu ermöglichen. Dasselbe gilt für die Einrichtung der Familie – der fundamentale Bestandteil der Gesellschaft.
Im Qur’an heißt es, dass Männer und Frauen – beide – gegenseitige Rechte und Verpflichtungen bei Allah haben.[1] Jedoch wurde den Männern eine höhere Stufe der Verantwortung gegeben, so wie es in Qur’an 4:34 heißt. Dieser „Vorzug“ kann nicht als Bevorzugung ausgelegt werden, sondern dies ist lediglich eine Position der Verantwortlichkeit vor der Gesellschaft und vor Gott. Dies ist in Übereinstimmung mit dem Bedarf einer hierarchischen, sozialen Struktur, die bereits erwähnt wurde und dies ist ebenso mit den sozialen Verantwortungen verknüpft, die die Männer hinsichtlich den Frauen haben. Jedoch – in diesem Hintergrund – bleiben andere qur’anische Prinzipien gleichermaßen relevant. Dies beinhaltet die Anweisungen, mit Frauen freundlich zusammenzuleben[2] und Entscheidungen mit ihrer Zustimmung und der gegenseitigen Beratung zu treffen.[3]
Es ist wichtig, hier anzumerken, dass Allah im Qur’an nicht „Allah hat die Männer über die Frauen ausgezeichnet.“ sagt. Vielmehr sagt Allah: „Allah [hat] die einen vor den anderen ausgezeichnet“ Der Unterschied ist offensichtlich. Die Ausdrucksweise, die verwendet wurde, deutet darauf hin, dass Männer und Frauen voneinander sind und wenn einer Person über der anderen eine höhere Stufe gegeben wurde, dies die Rolle der gegenüberliegenden Person nicht anzweifelt.[4]  Dadurch hat der Qur’an die ganze Perspektive hinsichtlich der Rollenverteilung und der Rechte der Beziehungspartner geändert. Männer und Frauen werden nicht mehr gegeneinander in einem Zerrkampf abgestimmt, so wie es die populäre feministische Szene tut. Vielmehr werden sie als ergänzende Einzelpersonen betrachtet, die eine einzelne, geheiligte Familie bilden.
Aus diesem Grund: Wenn der Qur’an nushuz (Widerspenstigkeit) verwendet, ist dies eine ernsthafte Unterlassung ehelicher Rechte und eine Missachtung des Gleichgewichts, das Allah festgesetzt hat. Wenn eine Ehefrau diese Grenzen überschreitet, so hat ihr Ehemann das Recht, Rückanspruch mit den berechtigenden Maßnahmen, die in Qur’an 4:34 erwähnt werden, einzufordern.
4. Die Art und Details der Anweisungen
4.1 Zuerst müssen die anderen Maßnahmen vollzogen werden
Wenn ein Ehemann berechtigterweise aufgrund der Verhaltensweise seiner Ehefrau verärgert ist, so muss er zuerst die anderen Maßnahmen der Lösung anwenden, bevor er auf die physische Strafe zurückgreift. Diese Maßnahmen bestehen daraus, anfänglich zu ihr zu reden und sie zu ermahnen und wenn dies fehl schlägt, so sollte man aufhören, das eheliche Bett mit ihr zu teilen. Es folgt nur nach diesen zwei anfänglichen Maßnahmen die dritte und extreme Option, der man sich begeben sollte. Die letztere Maßnahme ist aufgrund der innewohnenden Intimität zwischen Ehemann und Ehefrau extrem. Andererseits ist diese Maßnahme in der Art symbolisch.
Der klassische muslimische Exeget Ibn al-Attiyah (gest. 542 n. H.) sagt:

وهذه العظة والهجر والضرب مراتب، إن وقعت الطاعة عند إحداها لم يتعد إلى سائرها
Diese Dinge – Ermahnung, Meidung und Schlagen – in einer Sequenz. Wenn sie der Person gehorsam wird, sind die anderen Optionen nicht anzuwenden.[5]
Es wurde berichtet, dass ‘Ali bin Abi Talib gesagt hat:

يعظها بلسانه، فإن انتهت فلا سبيل له عليها، فإن أبت هجر مضجعها، فإن أبت ضربها، فإن لم تتعظ بالضرب بعث الحكمين
(Der) Ehemann soll sie (zuerst) mit Worten ermahnen; wenn sie (mit ihrer grenzenüberschreitenden Verhaltensweise) aufhört, so hat er kein Anspruch mehr (mit ihr streng zu sein). Aber wenn sie widerspenstig bleibt, dann kann er aufhören, mit ihr das Bett zu teilen und wenn sie immer noch in diesem Zustand bleibt, dann kann er sie schlagen. Und wenn sie immer noch die Ermahnung durch das Schlagen nicht annimmt, so soll man für beide Seiten einen Schiedsrichter rufen.[6]
Diese physische Strafe kommt nur nach den anderen korrigierenden Maßnahmen, denn die Ermahnung und Meidung im Ehebett wären bedeutugnslos, nachdem man auf die letztere Maßnahme als erstes zurückgreifen würde.
4.2 Erlaubnis, keine Empfehlung
Nichtsdestotrotz folgt der rechtliche Zustand der physischen Strafe nach der Vollziehung der anderen Maßnahmen. Und diese Strafe ist nur eine Erlaubnis. Sie ist weder eine Empfehlung, noch ein Freilauf, Frauen zu hauen. Der wohlbekannte Kommentator Abdul Majid Daryabadi (gest. 1397 n. H.) sagt:
Diese Tatsache darf nicht aus den Augen geraten: das heilige Wort richtet sich an Leute allen Alters, aller Klassen und Stufen sozialer Entwicklung; und es kann sein, dass ein Heilmittel, das in einer bestimmten Gesellschaft undenkbar ist, die einzig mögliche und effektive Abhilfe ist.[7]
Es kann sein, dass unter den unzähligen Nationen, Kulturen und Individuen über die Jahrhunderte hindurch, diese milde, physische Tadelung der einzige Weg ist, ihre Überschreitung der Grenzen aufzuzeigen und ihre Ehen zu retten. Jedoch wäre es ein Fehler, dies zu verallgemeinern und anzunehmen, dass die physische Strafe die Methode ist, in der der Islam die Empfehlung festlegt, eheliche Streitigkeiten zu lösen.
4.3 Physische Strafe ist nicht empfehlenswert
Selbst in Situationen, in denen milde, phyische Strafen erlaubt sind, empfiehlt der Islam dies nicht. Das perfekte Beispiel des Lebens des Propheten rät davon ab.
Da alle Gläubigen dazu verpflichtet sind, den Propheten zu imitieren, liegt die Signifikanz dieser Angelegenheit in der Zeugenaussage der Frau des Propheten selbst:
 ما ضرب رسول الله صلى الله عليه وسلم شيئا قط بيده، ولا امرأة، ولا خادما، إلا أن يجاهد في سبيل الله
Der Gesandte Allahs hat niemals jemanden mit seiner Hand geschlagen, weder Frau noch Sklaven, außer wenn er im jihâd auf dem Wege Allahs gekämpft hat.[8]
In einer anderen Überlieferung heißt es:

عن عائشة، قالت: قال رسول الله صلى الله عليه وسلم: خيركم خيركم لأهله وأنا خيركم لأهلي
‘Aishah überlieferte, dass der Gesandte Allahs sagte: „Der beste von euch ist der beste zu seinen Frauen und ich bin der beste von euch zu meinen Frauen.“[9]
In einer Überlieferung hat der Gesandte Allahs kategorisch seine Antipathie für jene Ehemänner gezeigt, die ihre Frauen schlagen:
قال النبي صلى الله عليه وسلم: لقد طاف بآل محمد نساء كثير يشكون أزواجهن ليس أولئك بخياركم
Der Prophet sagte: „Viele Frauen kamen zu den Frauen Muhammads, indem sie sich über ihre Ehemänner beschwerten; diese Männer sind nicht die besten von euch.“[10]
4.4 Regeln der Art und des Umfangs des „Schlagens“
Während wir nun herausgefunden haben, dass das „Schlagen“ nicht die erste Option ist und erlaubt ist, als dass es eine Vorschrift ist, so lasst uns nun die Art und den Umfang des „Schlagens“ analysieren, das im Vers erwähnt wird.  
In der sehr berühmten Abschiedspredigt erklärt der Gesandte Allahs die Regelung in seinem rechtmäßigen Kontext:
فاتقوا الله في النساء، فإنكم أخذتموهن بأمان الله، واستحللتم فروجهن بكلمة الله ، ولكم عليهن أن لا يوطئن فرشكم أحدا تكرهونه، فإن فعلن ذلك فاضربوهن ضربا غير مبرح، ولهن عليكم رزقهن وكسوتهن بالمعروف
Fürchtet Allah hinsichtlich euren Frauen, denn ihr habt sie als ein Vertrauen von Allah angenommen und Intimität mit ihnen ist euch durch das Wort Allahs für erlaubt erklärt worden. Eure Rechte über ihnen sind, dass sie nicht jemanden, den ihr nicht leiden könnt, euer Bett betreten lassen. Wenn sie dies tun, dann schlagt sie, aber auf eine Weise, die keine Verletzung verursacht oder einen Fleck hinterlässt. Ihre Rechte über euch ist, dass ihr sie versorgen und auf eine angemessene Art kleiden sollt.[11]
Ebenso, in der Erklärung der qur’anischen Verse und prophetischen Anweisungen, wurde von Ibn Abbas (r), dem primären Kommentator des Qur’an unter den Gefährten des Propheten, berichtet:
عن عطاء قال، قلت لابن عباس: ما الضرب غير المبرح؟ قال: بالسواك ونحوه
‘Ata überlieferte: Ich fragte Ibn ‘Abbas: „Was ist das Schlagen, das keine Spuren hinterlässt?“ Er sagte: „Mit einem Siwak (kleiner Stock, in der Länge einer Zahnbürste) und ähnlichem.“[12]
Diese Überlieferungen zeigen, dass das Schlagen, welches in Frage gestellt wurde, kein ordnungsgemäßes Schlagen ist, sondern ein symbolisches Tadeln, um die Signifikanz der Überschreitung der Grenzen der Frau hervorzuheben.
4.5 Eine Warnung für Männer
Nachdem wir die Maßnahmen besprochen haben, sehen wir, dass der Qur’an im selben Vers sagt:
فَإِنْ أَطَعْنَكُمْ فَلَا تَبْغُوا عَلَيْهِنَّ سَبِيلًا
Wenn sie euch dann gehorchen, so sucht gegen sie keine Ausrede (wörtlich: nervt sie nicht mehr).
Diesen Versabschnitt erklärend, schreibt Ibn Kathir (gest. 774 n. H.):
أي: فإذا أطاعت المرأة زوجها في جميع ما يريد منها، مما أباحه الله له منها، فلا سبيل له عليها بعد ذلك، وليس له ضربها ولا هجرانها
In der Bedeutung, dass wenn die Frau ihrem Ehemann in allen Dingen, die Allah erlaubt hat, gehorcht, dann sind keine Möglichkeiten vom Ehemann gegen seine Ehefrau erlaubt. Aus diesem Grund hat der Ehemann nicht das Recht, sie zu schlagen oder im Bett zu meiden.[13]
Gegen Ende des Verses heißt es:
إِنَّ اللَّهَ كَانَ عَلِيًّا كَبِيرًا
Wahrlich, Allah ist Erhaben und Groß (über euch alle).
Ibn Kathir legt die Signifikanz dieser Worte fest:
تهديد للرجال إذا بغوا على النساء من غير سبب، فإن الله العلي الكبير وليهن، وهو ينتقم ممن ظلمهن وبغى عليهن
[Dies] erinnert Männer daran, dass wenn sie die Grenzen gegen ihre Frauen ohne Rechtmäßigkeit überschreiten, dann ist Allah, der Erhabene, Größte, ihre Beschützer und Er wird Rache an denen ausüben, die gegen ihre Frauen übertreten und mit ihnen in Unrechtmäßgikeit verfahren.[14]
Dies, um aufzustellen, dass Männern keine freie Hand gegeben wurde, mit den Frauen zu verfahren, wie sie es wollen. Vielmehr – in Anbetracht der zahlreichen Überprüfungen – warnt der Vers die Männer davor, dass sie vor ihrem Herrn zu Rechenschaft gezogen werden, Der jeden zur Rechenschaft ziehen wird, der gegen Seine Dienerinnen Übertretungen verüben.
4.6 Ein schwacher Hadith zum „Schlagen“ der Frau
Mit dieser abschließenden Verwarnung des Verses, wenden wir uns nun an einen Hadith, welcher ebenso in Anbetracht dieser Thematik missbraucht wird:
عن عمر بن الخطاب، عن النبي صلى الله عليه وسلم قال: لا يسأل الرجل فيما ضرب امرأته
Umar bin al-Khattab überlieferte, dass der Prophet sagte: „Kein Mann soll befragt werden, wieso er seine Frau schlägt“[15]
Diese Überlieferung wurde von einer Anzahl an Gelehrten als schwach eingestuft, darunter ‘Ali bin al-Madini, zitiert von Ibn Kathir,[16] Ahmad Shakir,[17] Nasir al-Din al-Albani,[18] Shu’ayb al-Arna’ut,[19] Dr. Al-Turki,[20] and Al-‘Adwi.[21] Es ist bereits anhand der Verwarnung in Qur’an 4:34 klar, dass Männern verboten ist, ihren Frauen jegliches Nerven oder jegliche Bedrängnis ohne gerechten Grund zu verursachen. Aus diesem Grund ist der Befehl von diesem Vers derart, dass er jegliche schwache Überlieferungen dieser Art außer Kraft setzt.
5. Die Bedeutungen des Verses und die Tradition muslimischer Gelehrte
Dr. Jonathan A. C. Brown widmet dieser Thematik in seinem Werk „Misquoting Muhammad“ ein ganzes Kapitel, indem er verschiedene Annäherungen zu diesem Vers untersucht. Er sagt, dass dieser Vers die „ultimative Krise der Schrift der modernen Welt“ verkörpert. Er beschreibt die Haltung der Tradition der muslimischen Gelehrten:
Ironischerweise – die nicht erwähnten Annahmen, dass viele Leser heute allgemein die „literarische Bedeutung“ von 4:34 annehmen würden, wurde von keinem der prämodernen ‘ulama so geteilt. Diese sind, eigentlich, der islamischen Tradition sehr fremd. Wenn man den Vers als eine eindeutige Legitimisierung ehelicher Misshandlung versteht, so unterstellt man, dass der Qur’an isoliert gelesen werden soll und dass Pflichten daraus unmittelbar entnommen werden müssen. Dennoch hat dies keine prämoderne Rechtsschule jemals befürwortet, (ausgenommen der frühen Khariji-Extremisten), und islamische Modernisten, die behaupten, dass sie dies heute tun, können es nicht schaffen, dies auf diese Art konsistent zu vollziehen. (...)  Die ‘ulama, die die islamische Tradition klarstellten, waren Männer. Als ganzes betrachtet wurde ihre Lesung von Qur’an 4:34 weder durch die Interessen des Patriarchats, noch durch das, was manchmal als unverfälschte Indifferenz der Gewalt vorgestellt wird, angenommen. Vielmehr ist es so, dass die auffälligste Thematik in den Werken der ‘ulama durch die Jahrhunderte hindurch war, die fast alle scheinbaren Bedeutungen des Verses einzuschränken.  Dies erschien als erstes durch den ersten und vollkommenen Ausleger der Offenbarung Gottes – den Gesandten Gottes – selbst.[22]
6. Ursachen häuslicher Gewalt gegen Frauen
Shari’ah Gesetz oder qur’anische Verse, den in diesem Artikel untersuchten Vers mit eingeschlossen, sind keine Ursache für häusliche Gewalt gegen Frauen. Tatsache ist, dass Statistiken von säkularen, liberalen Ländern ein ganz anderes, grausiges Bild zeigen. Eine vor kurzem durchgeführte Untersuchung häuslicher Gewalt gegen Frauen europäischer Staaten zeigt:
Die Ergebnisse der Umfrage zeigen den Ausmaß unterschiedlicher Formen der Gewalt an Frauen durch  Europa hindurch. Gewalt gegen Frauen untergräbt die Hauptrechte der fundamentalen Bestandteile der Rechte der Frauen, wie zum Beispiel Würde, Zugriff auf Gerechtigkeit und Geschlechtergleichstellung. Beispielsweise haben eine von drei Frauen (33 %) physische und/oder sexuelle Gewalt seit dem Alter von 15 erlebt. Eine von fünf Frauen (18 %) wurde belästigt; jede zweite Frau (55 %) wurde mit einer oder mehr Formen sexueller Belästigung konfrontiert. In Anbetracht dessen kann Gewalt gegen Frauen nicht als geringfügiges Problem gesehen werden, das nur das Leben einiger Frauen betrifft.[23]
Die Sache ist, dass die Ursachen häuslicher Gewalt gegen Frauen nicht religiöse sind. Vielmehr sind es kulturelle Bedingungen und basieren auf Lebensweisen und andere soziale Aspekte. Im selben Bericht heißt es:
Die Umfrage ermittelte als Ursache schweren Alkoholkonsum, der von den Tätern häuslischer Gewalt eingenommen wurde, jedoch ist eine weitergehende Analyse notwendig, um den Bezug zwischen Alkohol und anderer Faktoren zu verstehen, die der Gewalt beitragen.[24]
Es sind in Wahrheit solche sozialen Schlechtigkeiten, die zur häuslischen Gewalt führen. Islamische Regelungen, vor Allem der in diesem Artikel besprochene Vers, bieten im Gegensatz dazu einen ausführlichen Ausgleich des Wut-Management-Systems dar, was – wenn dieses angewandt wird – zur Verringerung der Gewalt gegen Frauen führen kann.
7. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
1. Der Islam stellt ein herzliches und mitfühlendes Leben zwischen Ehemann und Ehefrau vor und befiehlt beiden von ihnen, sich auf eine Art zu benehmen, die dieses Ideal in die Realität umsetzt.
2. Obwohl der Islam Männer und Frauen als essentiell gleich ansieht, ist der Mann innerhalb der Familie der chargé d’affaires des Haushalts und dazu verpflichtet, finanzielle und soziale Verantwortungen hinsichtlich seiner Frau und anderen Familienangehörigen zu erfüllen.
3. Innerhalb der genannten Kapazität – wenn der Ehemann denkt, dass die Inegrität der Familie durch schwerwiegende Verfehlungen seitens seiner Ehefrau bedroht wird, wurde er angewiesen, eine Anreihung an Methoden anzuwenden, die der Reihe nach gegliedert sind; erstens: das Beraten seiner Ehefrau und wenn dies fehl schlägt, dann Intimitäten zu ihr aufzugeben und auch wenn dies fehl schlägt, dann eine symbolische Strafe.
4. Die gesetzmäßige Bestimmung der physischen Strafe ist lediglich die Erlaubnis, keine Empfehlung. Der Prophet selbst hat niemals eine seiner Ehefrauen geschlagen und hat Missfallen hinsichtlich denen, die hierauf zurückgreifen, gezeigt, indem er hindeutete, dass auch wenn dies erlaubt ist, dies abzulehnen ist und dass dies dem wahren Befolger des Propheten nicht würdig ist.
5. Unterschiedliche Kulturen und Abschnitte der Gesellschaft mögen unterschiedliche charakteristische Temperamente haben und da das Gesetz und dessen Bestimmungen sich an unterschiedliche Leute unterschiedlicher Stufen sozialer Entwicklung und unterschiedlichen Bereichen richtet, so sollte die Erlaubnis unter diesem Hintergrund beachtet werden.
6. Dass die Erlaubnis der physischen Strafe sehr eingeschränkt wurde, wurde durch die Tatsache gezeigt, dass der Prophet kategorisch sagte, dass sie keine Spuren am Körper hinterlassen darf und ein berühmter Exeget von den Gefährten des Propheten sagte, dass dies mit einem siwak geschehen soll (was ein kleiner Stock in der Größe einer Zahnbürste ist).
7. Nach der Erlaubnis folgt eine furchtbare Verwarnung von Allah, dass die Ehemänner keinem Weg der Belästigung nacheifern dürfen, wenn es keine Anzeichen der Art ihrer schlechten Benehmen mehr gibt, welche die Strafe erlauben.  
8. Qur’an 4:34 bietet bereits ein Management des Zornes dar, das – wenn man dieses ordnungsgemäß befolgt – zu einer drastischen Verringerung häuslicher Gewalt führen kann. Denn auf der anderen Seite sehen wir furchteinflößende Statistiken hinsichtlich säkular-liberalen Gesellschaften. Dies zeigt uns, dass die Gründe häuslicher Gewalt nicht religiös motiviert sind; vielmehr sind diese sozial bedingt: durch Mängel wie Ausschweifungen, ungeprüften Auffassungen wie indiviuelle Freiheiten, Auseinanderfallen des Familiensystems, Trinken usw.

Referenzen und Fußnoten:


[1] Qur’an 2:228
[2] Qur’an 4:19
[3] Qur’an 2:233
[4] Shafi’, Muhammad, Ma’arif al-Qur’an. (Karachi: Maktaba-e-Darul Uloom, o.J.) Band 2, 419-420
[5] Al-Andalusi, Ibn Atiyya, al-Muharrar al-Wajiz fi Tafsir, (Beirut: Dar al-Kotob al-‘Ilmiyah, 2001) Band 2, 48
[6] Al-Razi, Fakhr ad-Din, Mafatih al-Ghayb, (Beirut: Dar al-Ihya at-Turath al-‘Arabi, 1420 n.H.) Band 10, 72
[7] Daryabadi, Abdul Majid, Tafsir al-Qur’an – English Translation and Commentary of the Holy Qur’an, (Lucknow: Academy of Islamic Research and Publications, 2007) Band 1, 327
[8] Muslim bin Hajjaj, as-Sahih, (Trans. Nasiruddin al-Khattab. Riyadh: Maktaba Dar-us-Salam, 2007) Hadith 6050 (79-2328)
[9] Al-Tirmidhi, Abu ‘Eisa, al-Jami‘, (Übers. Abu Khaliyl. Riyadh: Maktaba Dar-us-Salam, 2007) Hadith 3895; von Al-Albani als sahih klassifiziert
[10] Al-Sajistani, Abu Dawud, as-Sunan, (Übers. Yasir Qadhi. Riyadh: Maktaba Dar-us-Salam, 2008) Hadith 2146; von Al-Albani als sahih klassifiziert
[11] Muslim bin Hajjaj, as-Sahih, Hadith 2950 (147-1218)
[12] Al-Tabari, Ibn Jarir, Jami‘ al-Bayan fi Ta’wil al-Qur’an, (Beirut: Ar-Risalah Publication, 2000) Band 8, 315 Überlieferung 9387
[13] Ibn Kathir, Abu al-Fida, Tafsir al-Qur’an al-‘Azim,  (Beirut: Dar al-Kotob al-‘Ilmiyah, 1998) Band 2, 258-259
[14] Ebda.
[15] Al-Sajistani, Abu Dawud, as-Sunan, Hadith 2147
[16] Ibn Kathir, Abu al-Fida, Musnad al-Faruq, (Al-Mansurah: Dar al-Wafa, 1991) Band 1, 182
[17] Shakir, Ahmad (ed.), al-Musnad li Imam Ahmad, (Cairo: Dar al-Hadith, 1995) Hadith 122
[18] Al-Albani, Nasir al-Din, Da’if Sunan Abu Dawud, (Riyadh: Maktaba al-Ma’ārif, 1998) Hadith 2147
[19] Al-Arna’ut, Shu’ayb (ed.), al-Musnad li Imam Ahmad, (Beirut: Ar-Risalah Publications, 2001) Hadith 122
[20] Al-Turki, Muhammad bin Abdul Muhsin (ed.), Musnad Abu Dawud al-Tayalisi, (Giza: Hijr Publications, 1999) Hadith 47
[21] Al-‘Adwi, Abu ‘Abdullah Mustafa, al-Muntakhab min Musnad ‘Abd bin Humayd, (Riyadh: Dar al-Balinsiyah, 2002) Hadith 37
[22] Brown, Jonathan, Misquoting Muhammad, (London: Oneworld Publications, 2014) 274
[23] FRA- European Union Agency for Fundamental Right, Violence against women: an EU-wide survey- Main Results, (Luxembourg: Publications Office of the European Union, 2014) 167
[24] Ebda., 26

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